Quicche
Elektronische Klänge tauchen auf und verschwinden im nächsten Moment, verfremdete Vocal Samples – bewusst kleingehackt – verbinden sich zu eingängigen Melodien und im Hintergrund vernimmt man den tiefen Puls eines Klavierpedals. In der hochemotionalen, mit Effekten spielenden Musik von Quicche wird schnell klar, dass die Produktion einen ebenso wichtigen Stellenwert hat wie das Songwriting an sich, wodurch in seinen Songs viel zu sehen ist – immer! Wenn die Arrangements hier mal desorientierend scheinen, sind es die sentimentalen Harmonien, die dich weiterhin umarmen.
Das emotionale Spektrum reicht dabei vom Wegträumen auf Ambient Matratzen über pure Folktronica-Melancholie bis zur befreienden Katharsis. Man nehme nur mal den Song „Mid 30s HB“: Er knistert und blubbert, bäumt sich auf und fällt zusammen, bevor er schlussendlich mit brachialer Power aufbricht. Die Drums scheinen noch bis in die Ewigkeit nachzuhallen, die Gitarren dröhnen Shoegaze-mäßig, der Vocoder ist tief unter der Haut spürbar – ein Song, der dich mit herunterhängendem Kiefer zurücklässt.
Einen Monat verbrachte Marc Grünhäuser – der Musiker hinter dem Projekt – für die Aufnahmen seines Debüt-Albums in Ostfriesland; in einem abgelegenen Haus samt improvisiertem Tonstudio und selbstgewählter Limitierung (sowohl in Bezug auf menschliche Kontakte als auch auf Equipment). Achtete man beim Hören von „Frisia“ auf das allgegenwärtige Gefühl der Nostalgie und Einsamkeit sowie den teils unüblichen Einsatz von Instrumenten und Field Recordings, so spürt man ebendiese Abgeschottenheit in jedem Wort und jeder Note.
Und so wundert es kaum, dass noch vor Quicche’s erster Veröffentlichung das legendäre Londoner Tastemaker-Label R&S Records (u.a. Aphex Twin & James Blake) auf das Projekt aufmerksam wurde und ihn unter Vertrag nahm. Letztendlich ist die Musik von Quicche vor allem deshalb so großartig, weil sie dir zeigt, wie Mensch und Maschine sich gegenseitig ergänzen und für sentimentale Gefühle sorgen können. Häufig klingt’s hier so, als wäre irgendwas kaputt, und gerade dadurch wirkt alles so lebendig. Jeder Riss macht das Ganze erst greifbar, lässt Licht hindurch. Man fühlt sich verstanden: Dinge müssen nicht perfekt sein, um zu wirken. Ganz im Gegenteil, das Unperfekte wirkt umso mehr. Bei Musik ist das genauso wie bei Menschen. Diese Songs haben das verstanden – und im Umkehrschluss fühlen wir uns von ihnen verstanden.
von Lennart Brauwers
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